1979, Regie: Boštjan Hladnik / 2024, Regie: Jane Schoenbrum
Niemals wäre ich auf den slowenischen Film „Kill me softly“ gestoßen, hätte ich ihn nicht glücklicherweise letzte Woche Mittwoch im Zuge einer Veranstaltung im Filmhaus Köln gesehen. Und umso sehr überraschte es mich, dass es sich bei ihm um einen Film handelt, der sich neben jene der 70er stellt, die, wie auch etwa Fassbinders „Welt am Draht“, früh einen dystopischen Weltentwurf, scheinbar ohne Ausweg, eine Endlosschleife der Simulation entwerfen. Eine eskapistisch motivierte Bewegung hin in einen totalen Schein, viel konsequenter als der so oft in diesem Kontext rezipierte Matrix der 90er Jahre. Und es ist diese Einordnung, die den Film gerade mit seinem direkten Bezug zu Medien und Kulturindustrie, sehr eng mit Jane Shoenbrums neuen Film „I saw the Tv glow“ verdrahtet: bei beiden haben wir es mit spätkapitalistischen Subjekten zu tun, dessen Leben so erdrückend, so beherrschend ist; dass sie sich völlig der alles schlagenden Ähnlichkeit (Vgl.Adorno/Horkheimer 2020: S.128) der Kulturindustrie ergeben; dies aber zugleich auch die Herrschaft über sie konstituiert. In beiden Filmen wird auf unterschiedliche Weise, dass zum Ausdruck gebracht; was Adorno meint, wenn er von der Verwandlung der Subjekte in gesellschaftliche Funktionen schreibt; „[…] so differenzlos gelungen, [daß] die eigene Entmenschlichung als Menschliches, als Glück der Wärme [genossen wird]“ (Adorno 2021: S.235) Der Text wird sich dem annähern, was damit weiter gemeint sein könnte:
Schein statt Psychosen?
Aber worum geht es in diesen außergewöhnlichen Film des sogenannten „Novi Films“ (=Neuer Film im serbokroatischen Raum; ab den 60er Jahren)? Typisch für die Bewegung setzt sich auch der Film mit dem italienischen Neorealismus auseinander,- welche in vielen Bereichen die vorherrschende Ästhetik des slowenischen Films markiert und auch für weitere Bewegungen erstmal einen künstlerischen Referenzpunkt darstellt. Hier äußert sich das in fast surrealistische bis parodistische Bilder. Das Setting mutet vorerst an, wie ein recht klassisches Melodrama. Vier jüngere Figuren (zwei Frauen, zwei Männer) besuchen Duša Počkas Figur „Die Tante“ auf ihren großen Anwesen. Immer wieder gibt es dabei zwischen den Pärchen kleinere Liebeleien, Akte von Eifersucht, später auch ein Mord, vielleicht auch Liebe, vielleicht aus Rache usw.? Klassische Genretropen werden hier, immer wieder mit einem Augenzwinkern aneinandergereiht und immer wieder über parodistische Anspielungen untergraben; der Film greift hier eigentlich Grundzüge postmoderner Kultur auf; was heißt, alles nimmt sich nicht so ernst; es herrscht der totale Klamauk, die totale Parodie, die totale Ironie. Immer wieder gibt es dabei, aber doch gewisse Brüche, die sich nicht unter einem reinen postmodernen Spiel subsumieren lassen; eine brutale Hinrichtung zum Ende – immer wieder taucht ein Kind, auf welches durch den Garten rennt und unverständlich herumschreit, zwei junge Mädchen sterben Arm in Arm an Gift; bei dem ganzen sinnlosen Nullsummenspiel bleibt doch ein gewisses Restprodukt übrig, dass sich in Gewaltvollen Bildern an die Oberfläche der Wahrnehmung nicht aber des Verstehens presst und auf etwas anderes Verweisen. Es braucht dann schließlich das Ende. In diesem kippt der Film nun plötzlich; und wir befinden uns auf einmal wieder in Szenen des italienischen Neorealismus. Die Tante, welche im Melodrama noch die zusammenhaltende Autorität bildete, das Zentrum aller Ironie; scheint jetzt blass und gezeichnet. Wir sehen sie, wie sie ins Büro gibt, wo sie ihrem Chef, gespielt vom selben Schauspieler, wie eine der Jungen; Übersetzungen von Trivial-Romanen abgibt und gleich einen neuen Satz an Arbeit bekommt. In ihrer kleinen Wohnung hat sie ein schreiendes Kind, alles wirkt räumlich eng und damit suggeriert, arm; das Einzige, was sie hat, ist die Schreibmaschine. Wir erfahren damit, dass die Bilder des Films, allein „Produkt ihrer Einbildung“ gewesen zu sein scheinen; ein wildes Drauflosschreiben unter den Einfluss diverser Groschenromane, die sie als wohl prekäre akademische Arbeitskraft, wie es sie heute, mehr als 40 Jahre später umso häufiger gibt, übersetzten muss. „Scheinen“ ist aber entgegen dem „Produkt ihrer Einbildung“ das eigentliche Stichwort; wird man dem Film gerade in seinem konsequenten Einsatz von Camp als Stilmittel nicht gerecht, deutet man ihn einzig als Illusion einer armen verzweifelten Frau. Das Gesehene unterhält uns doch selbst zu sehr; um allein ihrer Figur den schwarzen Peter zuschieben zu können. Meine Kinoerfahrung bestätigte das, so wirkte der ganze Film auf das natürlich überwiegend bildungsbürgerliche Publikum fast wie eine Art umgedrehter Katharsis; man war froh, dass es einfach ein „dummer campiger unterhaltender“ Film war und eben nicht ein „langweiliger ernster“ Vertreter des Cinemanova, den man vielleicht erwartet hatte. Gerade ein Pärchen, direkt hinter mir, war so glücklich darüber, nach dem Film weiter genauso dumm bleiben zu dürfen, wie vorher, dass sie jede einzelne Szene gleich laut kommentieren mussten, als wäre es ein Fußballspiel oder eine beliebige Tv-Show. Gerade dies zeigt doch, es ist nicht einfach nur eine einzelne eskapistische Illusion, eine Art psychosomatischer Selbstbetrug, den der Film hier illustriert. Insbesondere in der Selbstverortung in eigene Kulturindustrieelle Produktionsbedingung und im Aufeinandertreffen auf eine 40 Jahre ältere Gesellschaft, auf welche in diesem Kontext noch härtere Mittel (Tiktok, Netflix etc.) einwirken, entfaltet dieser seinen eigentlichen Punkt: Kill Me Softly, und dieses „me“ inkludiert uns alle; ist der Ausdruck des widersprüchlichen Verhältnisses von Konsumenten und Kulturindustrie. Horkheimer und Adorno schreiben dazu in ihrem berühmten Aufsatz zur Kulturindustrie;
„Die Standards seien ursprünglich aus den Bedürfnissen der Konsumenten hervorgegangen: daher würden sie so widerstandslos akzeptiert. In der Tat ist es ein Zirkel von Manipulation und rückwirkenden Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenfließt.“ (Adorno/Horkheimer 2020: S.129)
Der Film hält jedoch bis zu einem gewissen Grad; sprich, wenn er die Ästhetik des Neorealismus, der hauptsächlich vorherrschenden Camp-Ästhetik zum Ende gegenüberstellt; dabei an einer Unterscheidbarkeit von „Realem“ und etwa „Schein“ fest; und gerade dies eröffnet dann auch den Interpretationspfad zu einer rein psychologisierenden Deutung. Dies liegt vielleicht auch daran, dass das Kulturindustrieelle-Medium, in welches die Figur flüchtet, noch ein textliches ist; nämlich Groschenromane. Was ist aber mit „I Saw the TV Glow“, der nun in dieser Hinsicht vorerst einen entschieden anderen Weg einzuschlagen scheint, allein weil die Figuren es hier mit einer Tv-Show zu tun haben?
Hinein ins Universum technischer Bilder
Der Medientheoretiker Vilém Flusser schreibt in seinem Buch „Ins Universum technischer Bilder“ von dem medial bedingten Verdrängen des textuell linearen Denkens „[…] von einer neuen „oberflächlichen“ Denkart“ bei der uns „[…] jeder Sinn verloren geht, zwischen Eingebildeten und etwa nicht eingebildetem, zwischen Fiktivem und „Realem unterscheiden zu wollen.“ (Flusser 2018: S.41) Er beschreibt damit die Konsequenz des Übergangs einer von Text geprägten zu einer von Bildern geprägten Kultur. Genau dies lässt sich bei den Figuren von Schoenbrums neuem Film beobachten. Zwei Jugendliche kreisen dabei um eine Buffy ähnliche TV-Serie mit dem Titel „The pink Opaque“ – die Handlung setzt in den 90ern an; der Film spielt also bewusst mit nostalgischen Versatzstücken der jüngeren Generationen, die hier auch die Protagonisten bilden. Es ist eine Art Horror Coming of Age Geschichte, in welcher sich beide vollständig in den technischen Bildern der TV-Show verlieren. Es gibt dabei keine klare Abgrenzung zwischen den Bildern der Show und denen der „echten“ Welt, sondern immer wieder verschmelzen diese ineinander; das stark Artifizielle löst sich nie auf, sondern bleibt dauerhaft bestehen; es gibt keinen harten Bruch zum Neorealismus, welcher diesem zum Ende gegenübergestellt wird – bzw. gibt es diesen schon, aber in einer ganz anderen Form. So sehen wir den Protagonisten Owen am Ende als Erwachsenen, wie er sich die Show nochmal auf Netflix ansieht. Die Bilder dieser Show wirken dabei erschreckend anders als die zu Beginn: sie widersprechen sich zu der Erinnerung an die Show, wie Owen sie im Kopf hat, verrät er uns, wenn er (immer wieder die 4. Wand durchbrechend) zu uns spricht. Es stellt sich aber keinerlei „Entzauberungseffekt“ ein, weil es schlichtweg keine Trennung der Bilder eines „Echten“ und eines „Medialen“ mehr gibt. Diese neuen Bilder der Show widersprechen dem alten; die von den technischen Bildwelten eingezogene Linearität bleibt aber eingezogen. „Die technischen Bilder sind keine Spiegel, sondern Projektoren. Sie entwerfen Bedeutungen und trügerische Oberflächen, und diese Entwürfe sollen für ihre Empfänger zu Lebensentwürfen werden.“ Flusser 2018: S.53) Immer wieder werden die Figuren vom künstlichen Licht des Fernsehens angestrahlt; es ist quasi das Kernbild des Films; sie werden zu reinen Projekts-Flächen der Kulturindustrie, in welche sie sich aus ihrem grauen jugendlichen Alltag flüchten; ihre Botschaften sind völlige Selbstaufgabe und Verwahrlosung zu Gunsten des Kapitals – das hergestellte Produkt sehen wir am Ende; Owen ist eigentlich nur noch ein Zombie, der Müde seiner Arbeit nachgeht, sein einziger Ausdruck ist ein verzweifelter Schrei direkt gefolgt von Entschuldigungen.
Das einzige Problem ist bei diesem, auch jetzt schon recht beliebten Film, dass er Gefahr läuft, in die Falle zu tappen, die Lebenswahrnehmung des Publikums zu Gunsten eines falschen Bewusstseins schlichtweg zu doppeln. So wissen wir doch eigentlich, dass nichts mehr real ist, dass wir ausgehüllt Kulturprodukte konsumieren, die uns abrichten und, dass wir dem nicht entkommen können; so schreibt Flusser dazu:
„Es ist daher optimistischer Unsinn, wenn jemand behauptet, er sei frei, sein Fernsehen nicht einzuschalten, keine Zeitung zu bestellen oder nicht zu fotografieren. Die Energie, die er aufwenden müßte, um dem penetranten Druck der technischen Bilder zu widerstehen, würde ihn aus dem Gewebe der Gesellschaft hinausprojizieren.“ (Flusser 2018: S.55)
Es ist bereits alltägliche Erfahrung, dass wir dem nicht entziehen können, und dies führt uns der Film vor, ohne dem noch irgendwas hinzufügen zu können. Es ist eine Erkenntnis, die bereits in der frühen Medientheorie formuliert wird und die doch fast schon konstituierend ist für die Internet- und Plattformkultur des 21. Jahrhunderts. Er bestätigt uns damit schlicht in genau der hoffnungslosen Situation, in der wir uns sehen und entfaltet gerade dadurch wieder ein konsumierbares Momentum; was sich in einem sich-verstanden-fühlen gründet: aber ist das wirklich alles, was die Bilder des Filmes uns bieten können? Eine weitere Form der ekstatischen ahistorischen Flucht in unser eigenes hoffnungsloses Bewusstsein unserer Zeit?
Literatur:
Adorno, T.W/ Horkheimer, M. (2020): Dialektik der Aufklärung. Fischer. Frankfurt a.M
Adorno, T.W. (2021): Minima Moralia. Suhrkamp. Frankfurt a.M
Flusser, V.(2018): ins Universum technischer Bilder. Edition Flusser/04. Berlin